Wenn das Bessere der Feind des Guten ist

Veröffentlicht am 17.11.2014 in: Interviews

Experten-Interview über Konsum und Reparatur mit Christine Ax

 

Immer mehr: Immer mehr Konsum, immer mehr Besitz, immer mehr Müll. Das macht unsere „Shopping-Gesellschaft“ vielfach aus.

Jedes Jahr ein neues Handy, stets die neuesten Modetrends und was „veraltet“ ist oder eine Macke hat, landet im Müll. Dass Wachstum aber nicht unendlich ist, und unser Konsum Umwelt und Klima weltweit belasten, ist heute vielen Verbrauchern durchaus bekannt. Allerdings wird es ihnen nicht immer einfach gemacht, ihre Werte auch zu leben. 

4 Gedanken dazu, wie es weitergehen kann und was der Einzelne konkret tun kann, um seinen „ökologischen Fußabdruck“ zu verringern, von Christine Ax. Sie ist Philosophin, Ökonomin, Autorin und wird zu den profiliertesten Theoretikerinnen und Vordenkern des Handwerks im deutschen Sprachraum gezählt. Sie war unter anderem im Landesvorstand der Grünen, im Aufsichtsrat von Greenpeace und maßgeblich an der Gründung des Hamburger Zukunftsrates beteiligt. Sie schreibt und forscht heute in Hamburg und Wien (SERI).

 

Frau Ax, wie alt ist Ihr Handy? (Wie fühlen Sie sich damit?)

Ich bin vor etwas über einem Jahr auf ein Smartphone umgestiegen und finde es übrigens unterwegs sehr nützlich. Technik hat mich immer interessiert und ich bin keineswegs „technikfeindlich“. Allerdings beobachte ich, dass die Hersteller es mit der Multifunktionalität und der Komplexität übertreiben. Die Geschwindigkeit mit der neue Produkte auf den Markt geschoben werden ist nicht nur für die Umwelt ein Problem, sondern auch für die Nutzer, denn die Zusatznutzen sind oft fragwürdig. Das Neuste ist immer öfter der Feind des Guten. 

 

Am 29. November 2014 ist „Kauf-nix-Tag“. Ein konsumkritischer Aktionstag, der mittlerweile in 45 Ländern begangen wird, so auch in Deutschland. Was halten Sie von diesem 24-stündigen Konsumverzicht?

Das ist nett. Aber nicht ausreichend. Wir müssen in einer Größenordnung ressourceneffzienter werden, die schwer vorstellbar ist. Um den Faktor 8 bis 10. Das geht nur, durch einen tiefgreifenden Wandel in unserem Verhalten. Es gibt nicht „die EINE“ Lösung. Die Lösung besteht in einer Kombination von Nachhaltigkeitsstrategien und wir müssen unsere Gesellschaft so umbauen, dass wir nicht mehr auf Wachstum angewiesen sind. Erstens weil dieses Wachstum eh nicht wieder kommt, denn die Wachstumstreiber gehen uns aus und zweitens weil wir zu viele Ressourcen verbrauchen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Kreislaufwirtschaft, die aber oft missverstanden wird. Das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist nicht Recycling, mit dem man Geld verdienen kann. Diese Lobby ist schon stark genug. Das wichtigste ist „mehr Nutzen“ – also mehr Lebensqualität, mehr Wohlstand – aus den Ressourcen zu gewinnen. Die Nutzungsphase ist entscheidend. Die Produktlebensdauerverlängerung hat mich seit Ende der 90er Jahren beschäftigt. Es gibt viele Ansatzpunkte. Ich bin froh, dass dieses Thema endlich auch auf der Europäischen Ebene angekommen ist. Erstaunlich wie lange so etwas braucht. 

 

Denken wir an „Konsum“, so verbinden wir damit in der Regel Produkte, die verbraucht werden. Deren Produktion und Entsorgung belasten die Umwelt – manche mehr, manche weniger. Besonders signifikant scheint u.a. die Belastung durch Elektrogeräte zu sein. www.MeinMacher.de, ein Internetportal, bei dem Verbraucher Reparaturbetriebe in ihrer Nähe finden, propagiert die Reparatur anstelle des permanenten Neukaufs. Halten Sie das für zeitgemäß? Und wie stehen Sie zu dem Konsum von Dienstleistungen? Ebenfalls Fluch oder eher ein Segen für unsere Gesellschaft?

Ich bin ein großer Fan von HandwerkerInnen und habe dafür sehr viele Gründe. Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei die Reparatur und die Instandhaltung. Die Industrie und der Handel haben kein Interesse an der Langlebigkeit und an der Reparatur. Ich bin sehr froh darüber, dass sich immer mehr Menschen für das Thema Obsoleszenz interessieren. Letztlich betrügen die Hersteller sie mit ihren kurzlebigen Produkten, um die Lebenszeit und um die Lebensenergie die es braucht, um immer wieder das Geld zu verdienen, Ersatz zu beschaffen. Die Zeche zahlen immer die Schwächsten, das Hamsterrad ist ein sehr ungemütlicher Ort. Wir müssen auch aus dem Dilemma herausfinden, dass wir Verschwenden müssen, um arbeiten zu dürfen. Diese beiden Themen hängen eng zusammen. Mich begeistert die Initiative „Mein Macher“. Ich kenne Detlef Vangerow schon seit 1997, als ich in meinem Buch „Das Handwerk der Zukunft“  über „Reparieren statt wegwerfen“ geschrieben habe. Detlef Vangerow ist für mich ein Held der Reparatur. Keiner hat so intensiv wie er daran gearbeitet, die Reparatur wieder möglich und attraktiv zu machen. In jeder Hinsicht. Finanziell für die Handwerker, preislich für die Konsumentinnen und vor allem auch, was die Rahmenbedingungen angeht. Wir brauchen Service-Angebote vor Ort, die es den Konsumentinnen einfach machen sich für die Reparatur zu entscheiden. Denn durch Reparaturen kann die Produktlebensdauer maßgeblich verlängert werden. Räumliche Nähe, vertrauensvolle Beziehungen und gute Beratungsangebote wie sie im Fachhandel noch immer zu finden sind, fördern eine „Revision des Gebrauchs“.  

 

In Ihrem Buch Wachstumswahn schreiben Sie, dass sich in einem durchschnittlichen deutschen Haushalt an die 10.000 Gegenstände befinden. (Christine Ax/Friedrich Hinterberger: Wachstumswahn: Was uns in die Krise führt – und wie wir wieder herauskommen. Ludwig Verlag, München; 368 Seiten; 17,99 Euro.) Meinen Sie das geht mit unserem Wachstumswahn immer so weiter? Brauchen wir wirklich immer mehr und immer neue Geräte? 

Ich vermute, dass die Digitalisierung unseres Lebens noch weiter voranschreitet. Die Welt wird noch elektronischer und durch das „Internet der Dinge“ werden viele Geräte „intelligenter“, immer mehr Prozesse laufen ohne uns ab und Objekte können ohne uns interagieren. Umso wichtiger ist es, dass die EU sehr schnell dafür sorgt, dass die Ecodesign-Richtlinie alle Hersteller dazu verpflichten ihre Produkte so zu konstruieren, dass sie einfach demontierbar, langlebig, reparaturfähig und dass sie Upgrade-fähig bzw. nachrüstbar sind. Ich gehe nicht davon aus, dass die Einkommen in Zukunft noch stark steigen. Wir werden die Wohlstandsgewinne, die sich aus einer steigenden Arbeitsproduktivität oder neuen Technologien ergeben, für andere Dinge ausgeben müssen. Für die Folgen des Klimawandels, für die Folgen des Demographischen Wandels, für die Mobilitätswende, für die Klimawende und um die Armut in der Welt zu besiegen. Wir werden anders mit Produkten und Ressourcen umgehen müssen. Das macht ja, um an den Anfang des Gespräches zurück zu kommen, die schnellen Innovationszyklen so bedrohlich. Wir brauchen gute Produkte. Das wäre ein großer Fortschritt. Das wirklich gute Produkt ist der Feind des vermeintlich besseren. Wir brauchen deshalb als Konsumenten die wirklich relevanten Informationen über die Dinge die wir kaufen, z.B. die Kosten und der Energieverbrauch pro Serviceeinheit. Was kostet ein Waschgang oder ein Espresso über die gesamte Lebensdauer hinweg und wie groß ist der ökologische Rucksack. Damit man sofort sieht wie teuer billige Wegwerfprodukte tatsächlich sind und welche Umweltbelastungen mit ihnen verbunden sind. Und wer nicht genug verdient sich so etwas kaufen zu können oder überhaupt keine Lust hat, sich um so viele Dinge selber kümmern zu müssen, der sollte diese Produkte mieten können bzw. nur für die Nutzung zahlen. 

(S.A.)